released March 14, 2019

König der Fliegen

sonntag, 3. august, 7 uhr 55.
stille. schon wieder kein ton. nicht ein zug von ferne. keine luftbewegung.
kein triebwerk spuckt funken über die dürre stadt. nicht eine notfallsirene
schlägt echo ins bleihirn. kein bild. kein schatten. projektionslos. funkstille.

sonntag, 3. august, 10 uhr 56.
die letzten glocken läuten schon zum sonntäglichen heucheln. schweres grün schwillt durch die fenster. dieses grün erstickt mir jeden gedanken. luft anhalten.

sonntag, 3. august, 13 uhr 57.
wenn ich mich in luft auflösen könnte, würde es mir gelingen. ich befreite mich aus des bettes umklammerung. ich könnte einfach so auseinander
fallen und alles um mich herum berühren. ohne mich entscheiden zu
müssen. wenn ich sänge, hörte ich meine stimme bereits verhallen, röche schon des todes asche zu der ich verfallen. und wäre könig der fliegen.

mich 3 stunden besiegen. jede minute packen. jede sekunde kriegen.
würde ich als der könig der fliegen. wäre der könig der fliegen.

sonntag, 3. august, 17 uhr 58.

Zwanzig Jahre Radio Osaka!

Wer hätte das gedacht, damals im Sommer 1992, als
diese verwegenen musikalischen Unterholz-Pioniere im Federlos Zelt ihre ersten Konzerte gaben? Zwanzig Jahre, und dabei kein Moment lang an Ort getreten.

Ständige Bewegung, das war bei Radio Osaka von Anfang an Programm. Konstruktion, Dekonstruktion, Rekonstruktion – das Ziel das Leben pur: die Reise, nicht das Ankommen. Zuerst war Radio Osaka ein Quintett: Stephan Thelen (Gitarre), Andi Czech (Stimme), Fredi Flükiger (Drums), Tommy Meier (Sax) und Christian Kuntner (Bass). Es war eine feurige Kollektion von Charakterköpfen. Thelen ein Gitarrist aus der "Guitar Craft"-Schule von Robert Fripp. Czech, vom punkigen Schreihals zum Stimmkünstler in der Tradition von Tim Buckley gewandelt. Flükiger, Meier, Kuntner: in eigener Regie als ungestüm freies Improvisations-Trio Brom unterwegs. Kein Wunder klang die resultierende Musik – improvisationsgetriebener Art Rock mit Talking Head'schem Groove, aber auch widerspenstigen Synkopen - wie nichts sonst, was in jenen fernen Techno-, Acid House- und Grunge-Tagen sonst so zu hören war. Dabei verschloss sich die Band neuen Strömungen keineswegs. Ende der 90er Jahre hatte die Band aus elektronischen Loops, verzerrten Drum'n'Bass-Rhythmen, Stimmimprovisationen und krachenden Riffs eine Art alchemistisches Heavy Edelmetall entwickelt und gönnte sich dabei auch allerhand Experimente mit Remixes und Dub-Versionen, die indessen eher in die Richtung von Steve Reich als Lee Perry zeigten.

Allerhand personelle Veränderungen und Auftritte von Gastmusikern haben in den letzten Jahren die Auftritte von Radio Osaka gekennzeichnet. Zum nunmehrigen Kerntrio von Czech, Thelen und Kuntner ist nun der durch und durch analoge Schlagzeuger Benno Kaiser gestossen.

Alle Musiker verfolgen ausserhalb der Band noch andere Projekte: Thelen hat mit mehreren Alben die stillen Tiefen von Minimalmusik, Elektronika und Guitar Craft ergründet; Czech hat im Trio "Comebuckley" mit gereifter Stimme seine Liebe zum Meister Tim vertieft; Kuntner ist neben seinem wuchtigen Bassspiel als Schöpfer zahlreicher Klang- und Audioinstallationen in Erscheinung getreten; Kaiser ist seit nun mehr 25 Jahren mit dem aberwitzigen Vocal-Akustik-Trio 'los chicos perfidos' als gelenker Unterhalter und feiner vielseitiger Rhythmiker in der Kleinkunstszene zu Hause. Die hier gewonnenen Erkenntnisse fliessen zurück in die Musik von Radio Osaka. So ist die Band mit ihrem achten Album bei einem schillernd ambienten Sound angelangt, dessen Dynamik nicht von pfundigen Riffs getrieben wird, sondern von subtiler Rhythmik, fraktalen Gitarren-Echo-Architekturen und der Spannung zwischen Stille, Repetition und Gesangsmelodie.

Die Momentaufnahme am Ende der ersten zwanzig Jahre: die Momentaufnahme am Anfang der zweiten zwanzig Jahre.

Hanspeter Künzler